Deutschland

Es ist halb zehn und ich laufe an dem spanischen Restaurant vorbei, das schon seit Wochen oder Monaten in unserer Nachbarschaft vegetiert und reminiszere. “San Miguel” wird da beworben, ein Bier, ein spanisches, das ich in meinem Urlaub, also vor circa einer Woche noch, öfters getrunken habe.

 

Ich spaziere, das erste Mal in diesem Herbst wieder in meinem grauen Mantel und hätte wohl doch lieber meinen grauen Schal mitnehmen sollen. Ich spaziere, weil ich mir zum einen vorgenommen habe, mich mehr zu bewegen (ein etwas älterer Impuls, der aber in Spanien neu entfacht worden ist) und zum anderen, weil es mir in meinem Kopf mal wieder zu laut wurde. Und da ja mein Zimmer nichts anderes ist als die Erweiterung meiner grauen Zellen, eine weitere, nur größere und möblierte graue Zelle, wenn man so möchte, musste ich raus, um atmen zu können. Plötzlich kann ich auch wieder Worte aneinanderreihen. Denken. Gute Idee, denke ich mir jetzt, aber vor zehn Minuten noch hätte ich überhaupt nicht soweit denken können. Ich denke, das kann man nur nachvollziehen, wenn man mal in meiner grauen Zelle gelebt hat.

 

Ich könnte jetzt wieder beginnen, von Spanien zu schwärmen, wie ich es die letzten Tage öfters tun musste. Wenn ich aber ehrlich bin ist Spanien nur etwas, dass mein Stern und ich verstehen können.

Retroperspektiv assoziiere ich Spanien mit Zufriedenheit und Sorglosigkeit, etwas, das sich in jenem Moment verflüchtigte, als ich ins graue Herbst-Deutschland zurückgekehrt war. Wie auf Kommando waren alle Ängste zurück, das Chaos im Kopf. Die Realität, vielleicht? Ich sollte aufhören, wieder zu philosophieren.

Ich mache mich auf den Heimweg. Zurück auf orange beleuchtete Straßen in meine graue Zelle. Soeben realisiere ich, dass ich in meinem Zimmer noch irgend etwas brauche, was warmes, das Spanien repräsentiert. Möglicherweise sollte ich gleich wirklich malen.

 

Ich höre immer wieder, so auch heute, wie berüchtigt der Stadtteil ist, in dem ich wohne und durch den ich gerade wandere. Offenbar steht er sogar auf einer Art “roten Liste” für Hinzuziehende. Als mir das früher am heutigen Tag im heiteren Gespräch eröffnet wird, erzähle ich, dass ich hier erst einmal mit einem Messer bedroht worden bin (was, obwohl es wahr ist, eher als Scherz gedacht war, aber nicht als solcher aufgefasst wird). Eigentlich mag ich es in Deutschland. Ich fühle mich wohl hier. Auch in meinem Viertel. Ich habe meinen Schreibtisch vermisst. In den letzten Minuten und in Spanien.

Ich habe die Theorie aufgestellt, dass es in Deutschland im Herbst wärmer ist, als im Sommer. Sobald die Temperaturen fallen, die Tage länger werden und die Bäume wieder von Haarausfall geplagt werden, feuern Einkaufszentren, Läden und Häuser ihre Heizungen an und urplötzlich ist es überall dreißig Grad heiß. Ich scherze überhaupt nicht, wenn ich sage, ich habe in den letzten Tagen in Deutschland mehr geschwitzt als während meines gesamten Aufenthalts in Spanien. Das ist bei aller Ehrlichkeit keine Übertreibung.

 

Ich fühle mich jetzt deutlich gefasster. Vielleicht sollte ich öfter rausgehen und spazieren, im warmen orangenen Licht und vor allem weit entfernt von Heizungen. Vielleicht sollte ich öfter meine graue Zelle verlassen, vielleicht sollte ich öfter Deutschland verlassen oder, um einen metaphorischen Winkel zu wählen, meine KomfortZone. Vielleicht sollte ich aber auch aufhören, wieder zu philosophieren und einfach machen.

Ich male jetzt was spanisches und schneide ein YouTube-Video.