Neue Frisur & Nagellack

Ich habe mir heute mein Haar das erste Mal selbst geschnitten. Die Haupt-Motivation dahinter war, die zehn Euro zu sparen, die ich normalerweise ausgegeben hätte. Wenn man ehrlich ist, sind zehn Euro an sich ein sehr annehmbarer Betrag für einen Friseurbesuch, aber ich habe nur zehn Euro gesehen, die ich sparen kann. Kurz gefasst: Die Frisur sieht um ein vielfaches besser aus gedacht, nur den Hinterkopf gleichmäßig zu rasieren, das ist ein Akt, den ich nicht so leicht selbst bewerkstelligen kann. Besonders interessant finde ich die Ambiguität, die mit diesem neuen Schnitt einhergeht – einserseits fühle ich mich recht unsicher, was meine unprofessionell geschnittene Haarpracht angeht, andererseits ist mein Selbstbewusstsein (zumindest meine Frisur betreffend) größer denn je. Ich habe das selbst gemacht und es sieht wirklich nicht schlecht aus. Mein erstes Mal als Amateur-Auto-Friseur und ich bin nicht mal schlecht, was ein Erfolgserlebnis! Zeitgleich kam auch das Verlangen in mir hoch, mir wieder die Nägel lackieren zu lassen, wie vor einigen Tagen.

Ein Impuls, der wohl auch von meiner liberalen Definition von Sexualität inspiriert war. Wenn man aber ganz ehrlich ist, lackierte Nägel,  Schminke, all das hat eigentlich nichts mit Sexualität zu tun, sondern mit dem Ausdruck der eigenen Persönlichkeit. Unter naiven Erstsemestlern des Faches Philosophie wird man offenbar schon gefeiert dafür, dass man als heterosexueller Mann freiwillig Nagellack trägt… Diese Erfahrung liegt etwa eine Woche zurück. Ich habe mich mit einem sehr guten Freund auf eine Kneipen-Tour begeben, die in einer Studenten-Bar endete, die mit Erstis bestückt war. Da wir beide recht selbst-reflektiert und gefestigt in der Auffassung unserer eigenen Persönlichkeiten sind, waren diese neuen Leute, die wir an jenem Abend kennenlernten, sehr beeindruckt von uns und unserer Sicht auf die Welt. Der zynische Teil in mir würde sie für ihre Naivität verspotten, aber der Rest, der unsichere und menschenliebende Teil von mir, war begeistert von der Anerkennung, die ich dafür bekam, dass ich innerhalb der letzten zwei Jahre nur an mit gerarbeitet habe, an meiner Persönlichkeit. Endlich bin ich ein Individuum und werde dafür geschätzt, ja quasi vereehrt, und das von Fremden, obwohl mein einziger Verdienst ist, dass ich anders denke, als die meisten.

Was mir dieser Abend aber am meisten gelehrt hat ist, dass eine der wichtigsten Qualitäten im Leben die Selbstwertschätzung ist. Ich fühle mich wohl mit rudimentär rasiertem Haar. Ich fühle mich wohl mit mattem, grau-blauen Nagellack. Ich fühle mich wohl als unsicherer Comic-Leser, Filmkonsument und Hobby-Autor. Ich fühle mich wohler denn je in meiner eigenen Haut und meine Umwelt bestätgt mich in diesem Gefühl von Selbstliebe. Wenn ich aber eines gelernt habe in den letzten zwei Jahren, dann, dass ich auf gar keinen Fall, unter keinen Umständen meinen Selbstwert von dem Urteil anderer abhängig machen sollte. Ich weiß, dass ich wunderbar und einzigartig und kreativ bin. Das reicht mir. Alles andere darf nur zusätzliche Bestätigung sein. Genau das ist es, was ich versuche ständig weiterzugeben: Liebe dich selbst, wie du bist, denn du bist es wert. Lerne dich kennen, erfahre, wer du bist und was du willst und liebe es.

Ich habe mich mittlerweile mit dem Gedanken arrangiert, in Zukunft öfters die zehn Euro für den Haarschnitt zu sparen. Wenn ich wirklich eine kreative Berufung ergreifen will, werde ich sehr wahrscheinlich niemals wohlhabend sein. Ich kann mich dran gewöhnen, in Not zu leben. Wieder kommt wir Kurt Cobain in den Kopf: “thank you for the tragedy, I needed it for my art”. Das ist, denke ich, einer der Grundsätze, der mich mein Leben lang begleiten wird. Und ich liebe es.