Vision Band 1

Eine schrecklich nette Familie

Da hatte ich nach diversen Enttäuschungen schon fast mit Marvel abgeschlossen, schippert der Comic-Riese mit Autor Tom King und dieser Perle an Bord auf mich zu.

Normalerweise bin ich kein großer Fan dieser „alternativen“ Serien, doch Vision hatte es mir schon bei Erscheinen in den Staaten seltsam angetan. Ein Vorstadt-Drama mit Vision? Und wie! Ein Vorstadt-Drama mit Vision! Ich hätte nie geahnt, dass dies genau das Superhelden-Comic ist, worauf ich solange gewartet habe.

 

Die Vorstadt-Idylle in einem Nest nahe Washington, DC wird jäh aus seinem Alltag aufgeschreckt, als neue Nachbarn hinzuziehen: Die Visions.

Hausfrau Virginia verbringt den Tag zumeist zuhaus, die Zwillinge Viv und Vin besuchen die Alexander Hamilton High School und Mr. Vision arbeitet im Weißen Haus, um die Avengers und ihre Aktivitäten vor dem Präsidenten zu vertreten.

Abgesehen davon, dass Vision Mitglied der berühmten Heldentruppe ist, scheint jedoch nichts ungewöhnliches an dieser Familie zu sein –

 außer vielleicht einer kleinen Sache: Allesamt sind sie Androiden, Synthozoiden, um genau zu sein. Roboter im weitesten Sinne.

Das ist die Grundthematik dieses fantastischen Heftes, bei der es sich genauso um einen Mash-up aus Vorstadt-Drama à la Desperate Houswives, I, Robot und Marvel's The Avengers handeln könnte.

 

Es gibt eigentlich nur Lob auszuprechen an diesen Band. Zunächst einmal ist es für mich wichtig zu erwähnen, dass mir die Aufmachung mit den matten und stabileren Covern bei Paninis Reihe der „außergewöhnlichen Marvel-Comics“ sehr zusagt.

Darüber hinaus ist das Artwork von Gabriel Hernandez Walta einfach perfekt für diese Art von Geschichte; sein Zeichenstil gefällt mir an dieser Serie auch viel besser als bei seiner Arbeit an der letzten Magneto-Reihe. Walta spielt mit verschiedenen Perspektiven und besonders im Zusammenspiel mit dem Text schafft er es, einen angenehmen Lesefluss zu generieren. Bei genauerem Betrachten glaube ich sogar zu erkennen, wie er einige Panels nach dem Vorbild einer US-Drama-Serie gestaltet und bestimmte Kameraeinstellungen imitiert.

 

Darüber hinaus ist Tom King ein unglaublich talentierter Autor: Wie narrative Seide schmiegt sich der begleitende Text an die Panels. Man merkt außerdem, auf welch eine vielfältige Art und Weise King zum Thema Robotik und Co. recherchiert hat, um die Geschichte vielschichtiger zu gestalten. Auch die Dialoge sind für eine Familie aus Androiden mehr als glaubwürdig. Besonders der Disput über den Gebrauch eines bestimmten Wortlautes auf den ersten Seiten ist äußerst fesselnd.

Und diese Geschichte ist vielschichtig wie so wenige: Zunächst handelt es sich um ein Vorstadt-Krimi-Drama in einem Umfeld, in dem Superhelden wie die Avengers nun mal existieren und im Hintergrund Verbrechen bekämpfen. Dann behandelt King aber gleichzeitig das Thema Rassismus, wenn beispielsweise die „Rothäute“ in ihrer Nachbarschaft misstrauisch beäugt werden. Und auf einer wieder anderen Ebene setzt er sich mit der Frage auseinander, was eigentlich Mensch-Sein bedeutet. Könnte eine künstliche Intelligenz, ein Roboter, sich in unsere Gesellschaft integrieren? Und diese vielfältigen Handlungsstränge werden elegant von ihm verknüpft und spannend erzählt.

Fazit

Mein Enthusiasmus für diesen Band ist kaum zu verbergen. Vision ist all das, was ich in einem Superhelden-Comic gesucht habe. Kein Klamauk und lahme Action, keine Effekthaschascherei, nein, schlicht und einfach gutes Storytelling mit echten und verdammt gut ausgebauten Charakteren (auch wenn die Kinder im Vergleich doch relativ flach erscheinen). Einmal den Alltag eines Superhelden zu beleuchten und zu zeigen, wie schwierig das normale Leben sein kann, ist eine willkommene und gern gesehene Abwechslung. Ein so vielschichtiges Comic habe ich selten gelesen und ich freue mich schon sehr auf den zweiten Band!

Von Jonas Helmerichs


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