Mein Zimmer

Seit wann habe ich so viele Schallplatten?

 

Eines, das ich aus Spanien mitgbracht habe, ist geriebene Tomaten mit Olivenöl und Kräutern auf Toastbrot. Das esse ich, dazu frisch gepressten Kaffe stilvoll aus der French Press von Ikea. Die French Press war ein kleiner Traum, mangels funktionierender Kaffemaschine im Haus und dank Koffeinsucht, schon fast ein kleines Verlangen. Darum habe ich sie nicht selbst gekauft, sondern meinen Mitbewohner unabhängig von meinen Überlegungen anschaffen lassen, der wohl ähnliche Gedanken hatte wie ich oder einfach in einen Kaufrausch verfallen war.

Ich ziehe an mir selbst den Vergleich zum Erzähler aus Fight Club… bin ich glücklicher, seit das Regal mit meinen indvidualisierten Filmen rechts über mir hängt?

 

Es ist Sonntag, zu meiner Verteidigung. Heute “morgen” gegen elf bin ich aufgestanden. Nachdem ich mich stundenlang durch Instagram scrollte und lange auf einem Autoren-/Künstler-Account hängenblieb, rappelte ich mich auf und murmelte “I should fucking write” und wieder war dieses Verlangen, ein Buch zu schreiben da. Worüber? Egal. Einfach schreiben. Warum ich morgens auf Englisch murmele, habe ich immer noch nicht ganz verstanden. Vielleicht gaukle ich mir selbst Bilingualität vor und, dass ich doch etwas aus meinem verworfenen (?) Studium mitnehme. Wobei, vielleicht studiere ich ja doch weiter, bei mir ist sowieso alles so schwammig aktuell.

Ich bin heute “morgen” aufgewacht im Zimmer eines Fremden und mit dem Blick des Jungen, der ich vor zwei Jahren war, als ich frisch und allein hierher gezogen war, um an die Uni zu gehen. Ich wollte mir eine Persönlichkeit schmieden: Kultiviert, künstlerisch, irgendwas in Richtung Mads Mikkelsens Hannibal Lecter, nur ohne Kannibalismus.

 

Damals machte ich mir gedanklich eine Liste – ich müsste einen Plattenspieler anschaffen, jeden Abend teuren Whisky aus einer Karaffe trinken, so meine Vorstellung. Wenn ich mich jetzt so in meinem Zimmer umschaue und aus dem Fenster, das seit 2 Jahren mindestens nicht geputzt wurde, mein Blick auf die herbstgoldene Eiche fällt, muss ich feststellen, dass ich es geschafft habe, mir eine Persönlichkeit zu schmieden und sie in das richtige Gewand zu stecken.

Ein Regal voller Comics und Schallplatten, eines voller Bücher, eines voller DVDs, weil ein Blu Ray-Player mir zu suspekt ist. Eine verstimme Gitarre in der Ecke, selbstgemalte Bilder an der Wand, Hannibal Lecter auch. Der war praktischerweise beinahe seit Anbeginn dabei, um alles zu beobachten, wenn man so romantisch reden möchte.

 

Mein Raum macht mich glücklich, er hilft mir, mich wohler und wohler zu fühlen, mit dem, der ich seit zwei Jahren werde. Und, verdammt, ich habe keine Ahnung, wohin der Weg geht. Immerhin weiß ich die grobe Richtung und bin mir nicht zu schade, nach dem Weg zu fragen. Auch das musste ich erst einmal lernen. Ich bin in letzter Zeit oft gefallen, liegen geblieben, aber lebe von Höhen.

Ich habe mit einem Freund einmal darüber geredet, ob ich Materialist bin und darüber gestritten, ob das glücklich machen kann. Fallbeispiel, meine Platten. Die mattschwarzen Scheiben, durch die ich Musik so lieben gelernt und durch die ich meinen Patronen Bowie kennengelernt habe. Wenn ich meine Platten höre, anschaue, in der Hand halte, dann höre ich meine Erinnerungen, sehe den Flohmarktstand vor mir und fasse das erste Mal diese magischen Rillen an, die die Nadel später in meinem Raum streichelt. So habe ich meine ersten Alben gehört. Mit meinem billigen und blechern-klingenden Spieler, wahrscheinlich mit Wein oder Whisky in der Hand. Daran denke ich.

Und ich bin mir sicher, dass, wenn mein Haus explodiert, so wie das des Erzählers aus Fight Club, ich den Dingen gar nicht so nachtrauern würde. Ich kann mir ja wieder einen neuen Raum bauen, eine neue Halle für meine ausbaufähige Persönlichkeit. Das Gefühl und meine Erinnerungen bleiben und alles andere ist nur ein Weg gewesen, mich ausdrücken zu können. Eine Platte, dieich besitze, ist ein Stück Mobiliat, dass einen Teil von mir beschreibt. Wenn meine Wohnung in die Luft fliegt, dann geh ja nicht ich verloren (vorausgesetzt natürlich, ich werde nicht auch von den Flammen verschlungen, ein Gedanke, von dem ich nicht weiß, ob ich mit ihm warm werden könnte oder mir gar nicht erst vorstellen möchte).

 

Hier sitze ich jetzt also. Ohne Job, immer noch immatrikuliert, die Bowie-Platte hörend, die ich mir in meiner Heimatstadt gekauft habe. “Fame”, der Song, zu dem ich meine erste Zigarette geraucht habe. In meinem Kopf ist immer noch die Stimme meiner Mutter, die mich fragt, ob sie mir die fünfzehn Euro wert wäre… mittlerweile hätte ich die gleiche Scheibe auch für neun bekommen könne, aber ja. Ja, das war sie mir wert. Und wenn mein Haus explodiert, weiß ich, wo ich sie neu und billiger wiederfinde.

Ich finde so viel, wofür ich gern lebe. Ich liebe meine bezaubernde Freundin, die Aussicht, irgendwann von geschriebenen Worten leben zu können, meine Familie und Freunde. Ich liebe meine Internet-Freunde. Ich liebe mich. Und den mittlerweile immateriellen Toast aus Spanien.